VR im Kino: Warum es gerne laut sein darf

Ich bin in unserem kleinen Heimkino zuhause immer diejenige, die in den ersten paar Sekunden eines Filmes ruft: „lauter, lauter“. Und im Kino gehe ich auch gerne einmal raus und beschwere mich, wenn der Ton nicht stimmt. Obwohl ich so regelmäßig Menschen in den Wahnsinn treibe, ich stehe dazu: Nichts tötet die Immersion eines Filmes schneller als schlechter oder zu leiser Ton. Das gilt natürlich auch für Virtual Reality. In der Regel kommt da der Sound über die angeschlossenen Kopfhörer, doch es geht auch anders. Zum Beispiel mit VR im Kino.

360-Grad-Filme und VR im Kino

In 2017 hatte ich das erste Mal eine VR-Brille auf – während ich im Kino saß! Eine richtige VR-Brille in einem richtigen Kino-Saal mit Vorhang, roten Plüschsesseln, einem prunkvollen Eingangsbereich, Leinwand… Damals war ich im Berliner Zoopalast und sah eine Musik-Kunst-Erfahrung, ein Flug durch abstrakte Welten aus bunten Mosaik-Steinchen.

Kopfhörer hatten wir keine auf. Denn begleitet wurde die Erfahrung vom Beat der Musik, die aus den Kino-Lautsprechern kam. „Wie ein LSD-Trip“ sei es gewesen, schrieb Vice sehr treffend. Obwohl ich sowohl Bilder als auch Musik großartig fand – so richtig passte die Erfahrung TripinReality nicht in ein Film-Theater, wo man doch einen Film erwartet.

Der Mercedes Platz in Berlin © Pola Weiß/ VR Geschichten
Der Mercedes Platz in Berlin © Pola Weiß/ VR Geschichten

Die Telekom zieht ins Kino ein

Doch dieser erste Versuch im Zoopalast war nur der Anfang:  Rund eineinhalb Jahre später lud die Telekom zur Premiere ihrer Magenta Virtual Reality Tour ein. In vier Großstädten testet sie vom 20.3. bis zum 14.4.2019, wie sich VR im Kino so bewähren kann. Auch, um ihre Magenta VR App bekannter zu machen.

So schnappte ich mir also den lieben Ehemann und gemeinsam gingen wir ins neue Berliner Kino UCI Luxe am Mercedes Platz: Kurz darauf lagen wir auf den unfassbar bequemen Sesseln – ja, sie sind ausfahrbar! – und hielten je eine Oculus Go in den Händen.

Initiator und Auftraggeber der VR-Kino-Tour ist die Telekom, doch wie schon bei TripinReality war die Kölner Firma evrbit für die technische Seite zuständig. „Wir wollen den Beweis antreten, dass VR gut in einer Gruppe funktioniert“, rief Silke Kachtik von evrbit vor der Vorstellung in den Kinosaal. „Ihr werdet Spaß haben.“, fügte sie noch hinzu. Sie sollte Recht behalten.

VR im Kino: Wie macht man Selfies mit VR-Brille? © Pola Weiß/ VR Geschichten
Wie macht man Instagram-Selfies, wenn man eine VR-Brille auf der Nase hat?

Gemeinsames Erlebnis durch VR Sync Technik

Doch wie funktioniert das Prinzip eigentlich von der technischen Seite her? Das Ganze heißt VR Sync: evrbit installiert vorab am Veranstaltungsort oder im Kino eine eigene Netzwerk-WLAN-Struktur. Die Ausrüstung dafür ist mobil und transportierbar, „Technik für die Handtasche“, wie evrbit selbst sagt.

Die VR-Brillen werden vor der Vorführung mit einer App bespielt, wodurch sie sich miteinander synchronisieren können. Es wird also auf jeder Brille frame-genau das gleiche Bild gezeigt. Das Besondere ist, dass evrbit nun auch die Tonspuren für das Kino – in Dolby Surround 7.1 – hinzufügen und synchronisieren kann. Der Sound zum Bild kommt somit aus der gut ausgestatteten Kinoanlage.

Die VR-Filme der Tour

Insgesamt drei 360-Grad-Filme wurden bei der Telekom-Premiere gezeigt. Die Reihenfolge und die Auswahl der VR-Filme sind hervorragend. Einen Tag nach der Vorstellung beantwortete mir Silke Kachtik, die Verantwortliche von Seiten evrbit für Technologie und Content, schriftlich einige Fragen. Sie war es auch, die in enger Abstimmung mit der Telekom und der dortigen Projektleitung die drei Filme kuratiert hatte. Sie schrieb:

Mein kuratorisches Ziel war es, die Menschen mit auf eine Reise durch eine konkrete aber auch mythische Welt zu nehmen. Wir starten mit einer Dokumentation über Tiere, bleiben dann in der Tierwelt, werden aber mythischer und abstrakter in der Erzählung.

Am Ende soll die Leichtigkeit und die spirituelle Metaebene von ‚Crow:The Legend‘ in die Sphäre von ‚Conscious Existence‘ mitgenommen werden, um dort die Schönheit des Universums zu feiern. Ich würde mich freuen, wenn die Zuschauerinnen und Zuschauer diesen Gedanken dahinter spüren.

Geschichten von Löwen, Vögeln und Sitznachbarn

Im ersten Film, der Tierdoku Wild Immersion: Africa, kamen uns nicht nur Giraffen und Elefanten erschreckend nahe. Wie ich fand, zeigte sich hier der größte Vorteil der Idee von VR im Kino: Wenn der Liebste neben mir überrascht aufschrie, weil ein Löwe ihn fressen wollte, erlebte ich es gleich doppelt so intensiv. Das machte tatsächlich mehr Spaß, als sich mutterseelenallein in der Brille zu befinden und durch Kopfhörer vollends von der Außenwelt abgeschnitten zu sein.

Der zweite Film war Crow: The Legend in einer 360-Grad-Version. Der neue Animationsfilm der Baobab Studios basiert auf einer alten indianischen Legende über die „Regenbogenkrähe“. Es geht darin um den schönen Crow, der sich entscheiden muss, ob er seine Freunde und sein Zuhause rettet oder sein kostbarstes Gut behält.

Das Abenteuer gibt es kostenlos im Oculus Store für Go und Gear, sowie als interaktive – und noch mehr zu empfehlende – Roomscale-Variante für die Oculus Rift. Doch egal, welche Version, der Film ist toll: eine gute Prise Humor, phantasievolle Animationen, süße Charaktere mit Stimmen von Oprah Winfrey, John Legend und anderen.

Der letzte Film war eine absolute Überraschung für mich: Conscious Existence von Marc Zimmermann und der Filmakademie Ludwigsburg. Eine poetische Reise in wunderschöne Naturszenen, computeranimiert und befremdend real zugleich.

Der „Kinomoment“ muss her

In den letzten Jahren hätten sie sich an das Medium herangetastet und viele Filme gesichtet, erklärt mir Silke. Allerdings hätten sie auch feststellen müssen, dass vieles nicht funktioniere. Ich will wissen: Warum also genau diese Auswahl?

Dafür gibt es mehrere Gründe: Uns war klar: in die Shows werden zu 90 Prozent Menschen kommen, die noch nie ein VR Headset anhatten, Neugierige, die die Technologie testen möchten. Da braucht es Content, der sofort mitreißt und der jenen „Kinomoment“ auslöst, für den wir uns Filme in der Gemeinschaft anschauen: wenn der Saal lacht, sich erschreckt, wenn es so still ist, dass man die Anspannung spürt. Diese drei Filme können das.

Zweitens lösen sie, vor allem die Tierdoku, das Versprechen von VR ein: bringe mich an Orte, an denen ich nicht sein kann oder nie sein werde, weil sie zu gefährlich oder zu weit weg sind. ‚Crow: The Legend‘ tritt den Beweis für längere, gut gemachte fiktionale Unterhaltung in VR/360-Grad an. Der Film wurde unglaublich professionell, mit großartiger Tondramaturgie und viel Liebe produziert. Das spürt man.

Und für den Wow-Moment sorgen die Tiere, aber vor allem ‚Conscious Existence‘. Die bildgewaltigen Welten von Marc Zimmermann berühren – und das kann eben nur VR auf einer ganz besonderen und viel direkteren Ebene.

Hier offenbarte sich für mich allerdings auch eine Schwäche des Konzeptes von VR im Kino mit der Oculus Go: Wie gerne hätte ich gerade diesen letzten Film auf der hochauflösenden HTC Vive Pro bei uns zuhause gesehen. Insbesondere in einem so luxuriösen Saal wie dem UCI erwartet man eine ebenso lupenreine Film-Erfahrung – etwas, das die Oculus Go natürlich nur bedingt bieten kann.

Ein weiterer Minuspunkt war auch, dass Geräusche von vorne und von der Seite zu kommen schienen, aber nicht von oben und von hinten. Es war noch kein perfektes Rundherum-Klangerlebnis verglichen mit der Kopfhörer-Variante. Mit Kopfhörern ist es möglich, Töne in der 360-Grad-Sphäre genau zu lokalisieren und sich bestimmten Geräuschen sogar entgegen zu drehen – vorausgesetzt der Ton wurde in 360-Grad aufgenommen oder entsprechend aufbereitet.

Im Kino hatte ich manchmal Schwierigkeiten zu erkennen, ob das Huf-Getrappel nun vom Zebra vor mir kam, oder ob ich mich besser doch schnell nach hinten oder zur Seite drehen sollte. Meistens habe ich es dann aber eh gelassen mit dem Drehen – im Kinositz ist das ziemlich viel Arbeit.

Die Zukunft von VR im Kino

Doch die Idee ist ja noch neu und zeigt durchaus Potential, eine neue Ausspielform für VR-Filme zu werden. Ich fragte Silke, was eine VR/360-Grad Erfahrung ihrer Meinung nach haben muss, um für dieses Format in Frage zu kommen:

Sie muss in ihrer Art direkt sein, die Geschichte muss von Beginn an eine gewisse Spannung aufbauen. Lange Intros und Talking Heads funktionieren hier meines Erachtens gar nicht. Die Experience sollte auch ganz klassisches, dramaturgisches Handwerk beherrschen, am besten maximal die Spielfläche von 220-270 Grad nutzen und die Möglichkeiten dieser Bühne kennen. Natürlich sollte sie auch gut ausgearbeitete Charaktere haben und die Tondramaturgie ist unheimlich wichtig. Das gilt natürlich für alle VR-Produktionen.

Besondere Ideen für die Zukunft hat sie auch. So könnten – zusätzlich zu Ton und Bild – auch andere Effekte wie Gerüche oder Wind mit der Sync-Technologie an die Erfahrung gekoppelt werden. Etwas Ähnliches habe ich schon in New York im Kino erlebt: Während der Film lief – ganz klassisch auf der Leinwand, nicht in VR – wurde ich wahlweise mit Wasser angespritzt, durchgerüttelt oder mit einem kleinen Knüppel von hinten in den Rücken gepiekt. Doch Silke hat noch ganz andere kreative Einfälle:

Ich könnte mir sehr gut vorstellen, ein Testprojekt in punkto fiktionales Erzählen zu starten, das wahrscheinlich erst einmal in Richtung Bandersnatch wie bei Netflix ginge. Es wäre dann die Gruppe, die bestimmt, wie es weitergeht: Schaut die Mehrheit auf die grüne oder die rote Tür? Welche Einflussnahmen hat der Einzelne dennoch auf die Erzählung, um nicht enttäuscht zu sein?

Wir können auch verschiedene Kameraperspektiven anbieten und dazu syncen… Das würde wohl ein sehr intensives dramaturgisches Konzept bedeutet. Da wäre dann ein kreatives Mastermind gefragt, das auf jeden Fall mit uns Kontakt aufnehmen sollte.

Klingt fantastisch. Freiwillige vor!

Die Magenta Virtual Reality Tour ist nicht nur in Berlin, sondern auch in Köln, München und Hamburg, allerdings immer nur ein paar Tage in jeder Stadt. Mehr Informationen hier. Absolut empfehlenswert für alle, die Lust auf einen schönen Abend im Kino haben, und alle, die Virtual Reality gerne einmal ausprobieren wollen.

VR im Kino: Wie macht man Selfies mit VR-Brille? © Pola Weiß/ VR Geschichten
Es wird nicht besser mit den Selfies…

Wer noch mehr in das Thema einsteigen möchte, sollte diesen Artikel der Kollegen von VRTL lesen.

Auch auf der Konferenz VR NOW Con 2018 gab es übrigens ein paar Runden VR im Kino zu erleben (mit technischer Durchführung von INVR.space), alles allerdings in sehr viel kleinerem Rahmen. Soweit ich weiß, sind keine öffentlichen Vorführungen geplant.

Veröffentlicht von Pola Weiß

#Diplom-Psychologin #Filmtante #Kino-Binge-Gängerin #Fernseh- und Online-Redakteurin ## Ich liebe gut erzählte Geschichten, egal wo. Während meiner spannenden Arbeit als Medienarbeitsbiene (u.a. für SWR und arte) bin ich auf die unglaubliche Welt von Virtual Reality gestoßen. 2017 habe ich schließlich VR Geschichten gegründet und entdecke seitdem von Berlin aus die unendlichen VR Weiten.

4 Gedanken zu „VR im Kino: Warum es gerne laut sein darf“

  1. Sehr ansprechendes Review! Es freut mich auch, dass mein Projekt Conscious Existence so gut ankam! Ich plane auch bald die Veröffentlichung einer Varinte mit maximaler Qualität auf Steam, dann kann man sich das Ganze nocheinmal in höchster Auflösung mit Rift oder Vive anschauen! Viele Grüße, Marc

    1. Hi Marc,
      vielen Dank für die netten Worte und das Update. Sehr spannend! Gib doch gerne Bescheid, wenn es so weit ist. Ich würde gerne mehr über das Projekt erfahren 🙂
      Viele Grüße, Pola

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