Pagan Peak VR: Horror in den Alpen

Ein Interview mit Ioulia Isserlis und Max Sacker von AnotherWorld VR

Ja, ich bin im Vorbereitungs-Stress. Denn die Internationalen Filmfestspiele von Venedig stehen an und somit auch deren großartige Sektion Venice VR. Bevor es losgeht, wollte ich unbedingt mit den beiden kreativen Köpfen hinter Pagan Peak VR sprechen, dem einzigen deutschen VR-Beitrag im Venediger Wettbewerb. Max und Ioulia sind derzeit auch sehr im Stress – wen wundert es – für mich haben sie sich aber netterweise Zeit genommen. Nun also: lasst uns die Geheimnisse von Horror in Virtual Reality erkunden.

Von Kobold zu Pagan Peak VR – Der Spuk nimmt kein Ende

Aufmerksame Leser*innen dieses Blogs wissen es: ich bin ein richtiges Angsthäschen! Ich bin einfach nicht horror-fest. Nicht bei Büchern, nicht bei Filmen, und erst recht nicht in Virtual Reality. Letztes Jahr bei Venice VR habe ich mich trotzdem todesmutig in Kobold gewagt, das erste Horror-VR-Spiel von AnotherWorld VR (hier habe ich schon darüber geschrieben).

Seitdem beginnen Treffen zwischen mir und den beiden CEOs von AnotherWorld VR, Max und Ioulia, immer ein wenig peinlich für mich. Denn nicht nur, dass ich damals keine fünf Minuten bei Kobold durchgehalten habe… Nein, ich rannte vor Angst aus dem gruseligen Haus hinaus, warf den Schlüssel für die Tür in einen Teich und versteckte mich unter einem Busch. Wohlgemerkt tat ich all das, ohne die VR-Brille abzunehmen! Auch das laute Lachen der Umstehenden konnte mich scheinbar nicht aus der Illusion reißen. Ein gerne und oft erzählter Running Gag. (Und ich bin mir noch nicht mal sicher, ob es überhaupt einen Teich gab…)

Pagan Peak VR ist ein Escape Room in VR mit Elementen aus Mystery, Horror, und Thriller. Wie schon in Kobold verwenden die Macher Elemente aus alten Sagen und Traditionen.

Auch dieses Jahr werden Max und Ioulia wieder ausziehen, um uns das Fürchten zu lehren. Ich habe sie Mitte August in ihrem Büro in Berlin besucht, wo sie gerade mitten in der Test-Phase von Pagan Peak VR, ihrem neusten Streich, stecken. Damit stellen sie unter den 26 Nominierten im Wettbewerb von Venice VR den einzigen deutschen Beitrag und dürfen auf der kleinen Insel am Lido ihre Weltpremiere feiern. Mit Sicherheit wird es noch viel gruseliger als Kobold

Horror in VR: ein Interview mit Ioulia Isserlis und Max Sacker

VR Geschichten: Erzählt doch zu Anfang kurz, wer ihr seid und was ihr mit AnotherWorld VR macht.

Max: Wir sind die beiden Gründer von Anotherworld VR und machen das schon seit dreieinhalb Jahren. Ursprünglich kommen wir beide vom Film, aber wir haben eine Liebe für immersives Storytelling entwickelt und für interaktive Geschichten. Dabei sind wir immer nah am Kino – an der Grenze zwischen Kino, Storytelling und interaktiver Unterhaltung.

Ioulia: Hauptgrund mit VR anzufangen war tatsächlich ein Wunsch: Wir wollten in einen Film oder eine Serie eintreten können und dort aktiv an der Handlung teilnehmen. Das haben wir ja schon mit Kobold realisiert, ein normaler Film, der ein offenes Ende hat und den man dann in VR als Protagonist zu Ende spielen kann. Dieses Jahr ist Pagan Peak VR an der Reihe. Pagan Peak ist eine Serie von Sky, Wiedemann & Berg und epo-film, auf Deutsch heißt sie „Der Pass“.

„In den verschneiten Bergen, auf einem Grenzstein zwischen Deutschland und Österreich liegt eine seltsam inszenierte Leiche.“ So beginnt die Inhaltsbeschreibung zu der acht-teiligen Serie „Der Pass“. Sie ist bei Sky verfügbar, das ZDF hat Ausstrahlungsrechte fürs Free-TV erworben.

VR Geschichten: Inwieweit unterscheidet sich das VR-Spiel von der Serie?

Ioulia: Mit Pagan Peak VR haben wir eine komplett neue Sub-Story entwickelt. Sie spielt in demselben Film-Universum, ist jedoch von der Serie unabhängig. Allerdings gibt es für alle, die die Serie geguckt haben, ein paar „Easter Eggs“ (versteckte Hinweise, Anm. VR Geschichten).

VR Geschichten: Verratet ihr auch schon, worum es geht in dem Spiel?

Ioulia: Du wirst von dem Krampus-Killer gefangen genommen und musst dich aus seiner Hütte, in der er dich festhält, befreien. Nach und nach wirst du herausfinden, wieso du überhaupt in dieser Hütte bist und was mit seinen vorherigen Opfern passiert ist. Pagan Peak VR mischt Elemente aus Thriller, Escape Room, Horror und Mystery. Du bist nicht nur der Spieler, der sich befreien muss, sondern auch ein Detektiv, der mehr über den Krampus-Killer erfahren wird.

Der Krampus wird zum Krampus-Killer: Warum hält er Menschen in seiner Hütte in den Bergen gefangen? © AnotherWorld VR
Der Krampus wird zum Krampus-Killer: Warum hält er Menschen in seiner Hütte in den Bergen gefangen? © AnotherWorld VR

VR Geschichten: Für alle, die aus Norddeutschland kommen oder aus dem Ausland: Was ist denn ein Krampus?

Max: Der Krampus kommt aus den alten Bräuchen der Bergkulturen zwischen Tirol, Österreich und Bayern. Er trägt eine Rute…

Ioulia: …und kommt zusammen mit dem Nikolaus in der Nacht vom 5. auf den 6. Dezember. Der Nikolaus belohnt die braven Kinder. Und der Krampus (Ioulia spricht das sehr bayrisch aus, mit einem langen, rollenden R) hat seine Ruten dabei und bestraft die bösen Kinder. In unserer VR-Erfahrung bestraft der Krampus-Killer Erwachsene, die, so denkt er, böse waren. Eine Krampus-Gestalt sieht sehr Teufel-ähnlich aus mit Hörnern. Es gibt in Bayern und Österreich auch die lange Tradition des Krampuslaufs. Dabei verkleiden sich die Männer als Krampusse, laufen durch die Stadt und verängstigen die Leute.

Krampuslauf in München. In alter Tradition erschrecken schaurige Gestalten die Passanten. (Quelle: münchen.de)

VR Geschichten: Das klingt grauenvoll gruselig. Was gefällt euch so am Horror-Genre?

Max: Es ist ein Genre, das oft übersehen und nicht auf gleicher Ebene wie andere Genres betrachtet wird. Allerdings haben sich in den letzten Jahren sehr viele Produktionen, Filme und Serien, mit dem Thema befasst. Es gibt den Begriff des „Elevated Horror“: Das ist dann nicht nur blutiger Splatter, sondern bringt Storytelling und kulturellen Wert mit sich. Wir interessieren uns sehr für Kulturgut aus Europa, für Sagen, für Mythologien, für spannende Charaktere. Aber vor allem funktioniert Horror sehr gut in VR.

VR Geschichten: Warum ist das so?

Max: Es ist ein persönliches Erlebnis. Anders als bei Filmen schaut man nicht passiv auf einer Leinwand zu, wie Schauspieler Angst vorspielen. In VR ist das Erlebnis sehr privat, man ist selbst dort. All die Ur-Instinkte, die man hat, wenn man beispielsweise bei Nacht alleine durch einen Wald geht, kommen zurück. Und da reicht das kleinste Knarren von einer Holztreppe aus oder ein Ast, der an einem Fenster kratzt, um diese Gefühle auszulösen.

Beim Horror von Another World geht es um mehr als Jump Scares... © AnotherWorld VR
Bei Horror-Erfahrungen von Ioulia und Max und ihrem Team geht es um mehr als Jump Scares… © AnotherWorld VR

Ioulia: Überhaupt ist die Gefühlspalette bei Pagan Peak VR sehr breit. Du hast Horror-Elemente dabei, das ist natürlich Angst, dann aber auch Freude, wenn du zum Beispiel ein Rätsel löst. Du hast Mitleid, Empathie…. Wir wollen uns nicht nur auf Angst fokussieren. Vor allem Gegensätze sind für uns interessant. Wenn jemand in der einen Sekunde Angst verspürt und in der nächsten Sekunde Erleichterung, das wäre perfekt.

VR Geschichten: Ihr sagt oft, dass VR-Horror für Euch viel mehr ist als nur Jump Scares. Wie macht ihr das konkret? Wie könnt ihr uns so richtig das Fürchten lehren?

Max: Atmosphärisches Leveldesign und Ton geben sehr viel her. Wir sind detailverliebt und die Atmosphäre in unseren Spielen wird oft gelobt. Wir wollen absoluten Realismus erzeugen, nicht nur visuell, indem wir echte Orte digitalisieren, sondern auch mit den Geräuschkulissen. Da wollen wir eine Art Choreografie schaffen, die ständig verunsichert, aber die Spieler auch lenken kann, eine Dramaturgie zum Führen und Irreführen. Ein Jump Scare an der richtigen Stelle ist eine von vielen Möglichkeiten, die man als VR-Schaffender hat. Aber ich glaube es sollten nicht zu viele hintereinander kommen, weil die Spieler ja in der Welt ankommen und sie erkunden wollen – und nicht die ganze Zeit irgendein gruseliges Gesicht vor sich haben möchten.

Für ihre VR-Erfahrungen scannt Another World VR mit Photogrammetry reale Orte und macht sie dann noch viel gruseliger. © AnotherWorld VR
Für ihre VR-Erfahrungen scannt AnotherWorld VR mit Photogrammetrie reale Orte und macht sie dann noch viel gruseliger. © AnotherWorld VR

Ioulia: Vor allem ist es die Steigerung der Spannung. Die wird bei uns auch durch Naturelemente erzeugt. Kleiner Spoiler: Wenn Du das Spiel startest, bist du in einer herrlichen, alpinen Landschaft, die Sonne geht unter. Ich hätte dort manchmal gerne einen heißen Tee und würde einfach nur aus dem virtuellen Fenster schauen. Und dann fängt der Schneesturm an…

VR Geschichten: Durch diesen Fotorealismus stechen eure Produktionen wirklich heraus, wie ich finde. (Die beiden müssen bei diesem Satz schmunzeln und denken sicher an meine Erfahrung mit dem Busch). Wie baut Ihr dieses Set, in dem man sich dann später in VR befindet?

Ioulia: Für Pagan Peak VR haben wir Motive oder Locations gesucht, die wir eingescannt haben. Wir schießen dann ganz viele Fotos von diesem Ort und bauen daraus ein 3D-Modell. Diese Scans überarbeiten wir dann natürlich stark und erschaffen so unser eigenes Universum. Aber manche Dinge kann man auch gar nicht scannen, die werden dann komplett von uns entworfen. Im Unterschied zu Kobold kann man in Pagan Peak VR jetzt auch wirklich mit jedem Objekt interagieren, Du kannst jeden Schrank aufmachen, alles aufheben, jede Schublade öffnen. Die Interaktivität hat sich dadurch enorm gesteigert.

VR Geschichten: Gibt es denn auch verschiedene Storylines in Pagan Peak VR?

Ioulia: Es gibt nur eine Story, eine große Storyline. Aber auch vier verschiedene Endungen.

Alle Objekte in Pagan Peak VR lassen sich bewegen, alle Geräte bedienen. Das steigert die Immersion. © AnotherWorld VR
Alle Objekte in Pagan Peak VR lassen sich bewegen, alle Geräte bedienen. Das steigert die Immersion. © AnotherWorld VR

VR Geschichten: Was ich bei Kobold so gelungen finde, ist, wie ihr der Spieler-Person eine Rolle gebt am Anfang. Ich wusste genau, wen ich verkörperte. Wie habt ihr das bei Pagan Peak VR gemacht?

Ioulia Wir sagen diesmal gar nichts zur Rolle. Ich wollte es so neutral haben wie nur möglich. Für mich ist es auch ein Experiment. Denn ich denke, je weniger Informationen man über sich selbst hat, desto größer ist die Immersion. Ich finde das immer ein bisschen aufgezwungen, wenn mir ein Charakter vorgegeben wird. Vielleicht bin ich mit diesem Charakter gar nicht einer Meinung? Deswegen ist es jetzt ein neutraler Charakter. Man weiß nicht, ob Frau oder Mann, welche Hautfarbe, usw. Du siehst nur Hände in Handschuhen und das war’s. Es wird nur eine einzige Information geben, wer der Spieler ist, aber auch sie ist sehr generell gehalten. Und die verrate ich natürlich auf gar keinen Fall!

VR Geschichten: Eine letzte Frage. Was sagt ihr Leuten wie mir, Angsthasen, die vor Pagan Peak VR und Kobold stehen?

Ioulia: Man kann immer die Brille abnehmen (sie schaut mich an). Wir sind verantwortungsbewusste Produzenten, unser Horror ist sehr cineastisch und atmosphärisch. Wir haben kein Blut drin, keine Waffen, keine enorme Gewalt. Es ist eher eine künstlerische Form des Horrors. Wir nehmen es aber auch niemandem übel, der sich die Brille abreißt und denkt: ‚Ne, das ist mir jetzt zu gruselig‘.

Max Sacker und Ioulia Isserlis, die beiden Ko-Regisseure von Pagan Peak VR © AnotherWorldVR
Max Sacker und Ioulia Isserlis, die beiden Ko-Regisseure von Pagan Peak VR © AnotherWorldVR

Release und Multiplayer-Modus von Pagan Peak VR

Die erste Staffel von Pagan Peak oder Der Pass ist seit Januar 2019 bei Sky zu sehen. Eine zweite Staffel ist schon in Auftrag gegeben. Die dazugehörige VR-Erfahrung von AnotherWorld VR wird als Single-Player-Experience am 24.10.2019 veröffentlich werden.

Wie mir Ioulia und Max bereits vorab verraten haben, wird es später auch eine Multiplayer-Version geben. Diese werden sie aber nicht zusammen mit dem Single-Player über die gängigen Online-Plattformen vertreiben, sondern ausschließlich als location-based Entertainment in Spielehallen. Alle Neuigkeiten findet Ihr ihr auf der Webseite zur VR-Erfahrung.

Veröffentlicht von Pola Weiß

#Diplom-Psychologin #Filmtante #Kino-Binge-Gängerin #Fernseh- und Online-Redakteurin ## Ich liebe gut erzählte Geschichten, egal wo. Während meiner spannenden Arbeit als Medienarbeitsbiene (u.a. für SWR und arte) bin ich auf die unglaubliche Welt von Virtual Reality gestoßen. 2017 habe ich schließlich VR Geschichten gegründet und entdecke seitdem von Berlin aus die unendlichen VR Weiten.

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