VR und Film: eine kleine Einführung

Bald ist Berlinale! Und aus aktuellem Anlass widme ich mich heute meinem Lieblingsthema: der Verbindung von Virtual Reality und Film. Ein größeres Thema hätte ich mir wahrscheinlich gar nicht aussuchen können, und deswegen wird es auch die neue Kategorie „Film“. Mehr Posts kommen bald. Heute will ich aber klein anfangen mit der ziemlich naheliegenden Frage: Was ist ein VR-Film?

Wenn ich an die Verbindung von Film und Virtual Reality denke, dann fängt mein Herz an zu klopfen, ich werde ganz aufgeregt und freue mich über jede Steam-Neuerscheinung wie ein Kind vor Weihnachten. Aber woher weiß ich, was in der nahen Zukunft veröffentlicht werden wird?

Virtual Reality goes Filmfestival

Überall auf der Welt schießen VR/AR Konferenzen aus dem Boden. Je nach inhaltlichem Fokus kann man dort alle möglichen Arten von Anwendungen testen: virtuelle Lern-Umgebungen, Anwendungen für die Industrie, Games. Doch was ist mit VR-Filmen? Neben den speziell für AR/VR auf die Beine gestellten Events wie den VR Days in Amsterdam oder dem VR World Forum in der Schweiz gibt es bereits eine Handvoll internationaler Filmfestivals, die eine vorzeigbare VR-Reihe haben, wie beispielsweise das bekannte Indie-Festival Sundance in Utah, USA.

Das Ziel der VR-Sektionen der Festivals ist es, VR und AR als eigenständige Kunstformen neben dem Film zu etablieren – und das gelingt jedes Jahr ein bisschen besser. Ähnlich bedeutend wie das Sundance sind das Tribeca Film Festival in New York, das Venice Film Festival in Venedig und die IDFA in Amsterdam, das größte Dokumentarfilmfestival der Welt. Auch die SXSW Konferenz in Texas, eigentlich eher eine riesige Tech-Versammlung, hat jedes Jahr wichtige VR-Weltpremieren im Gepäck. Auf der Berlinale kann man VR-Filme auf dem European Film Market (EFM) sehen. Gefühlt dauert es allerdings immer länger, bis die auf den Festivals gezeigten und erlebbaren VR-Experiences endlich ihren Weg in die Online-Stores finden, sofern das möglich ist, oder zumindest als location-based Experiences in Museen stehen. Vielleicht bin ich auch einfach nur zu ungeduldig?

Wie viel Film steckt in VR?

Filme greifen das Thema VR inzwischen gerne mal auf, auch jenseits von „Black Mirror“. Doch anstelle von Filmen über VR: wie sieht es aus mit Filmen in VR? Ebenso, wie es unterschiedliche 2D-Filme gibt, sind auch VR-Filme grundverschieden. Mehrere große Filmemacher interessieren sich mittlerweile für VR-Filme und VR-Serien und experimentieren mit teils immensen Budgets.

Die Erfahrungen, die ich bislang in VR erlebt habe und zu den Filmen zählen würde, kann ich in drei Kategorien einteilen.

Blockbuster extended. Immer mehr große Studios produzieren VR-Erweiterungen ihrer großen Blockbuster und Serien-Produktionen. Manchmal mehr Marketing als wirklich bereichernd, manchmal inhaltlich sinnvoll. Vom „Marsianer“ über „Gost in the Shell“ bis hin zu – was irgendwie naheliegt – „Mr. Robot“ gibt es bereits mehrere Beispiele. Ich stelle Euch bald ein paar davon näher vor. Einige erinnern eher an Games, die meisten sind aber passive Filme, in wenigen Fällen wie z.B. in „Dunkirk VR“ ist es kaum mehr als ein etwas anderer Teaser (der in diesem Fall aber leider nicht sonderlich sehenswert ist). Anfang April ist Spielbergs neuer Film „Ready Player One“ in den Kinos gestartet. Er greift nicht nur VR als Hauptthema auf, sondern kam auch schon gleich mit der ein oder anderen VR-Erfahrung zusammen heraus (UPDATE: „Oasis“ gibt es als Beta-Version mittlerweile nicht mehr nur auf Viveport, sondern auch auf Steam).

Passive VR-Filme. Die zweite Kategorie ist bislang die größte: Es sind eigenständige VR-Filme, die für den Zuschauer passiv erlebbar sind. Der in Baden-Württemberg produzierte Film „Sonar“ gehört zu dieser Kategorie. „Sonar“ ist deswegen interessant, weil er sich vom Schnitt her sehr an klassischen Film erinnert: Die Kameraperspektive wechselt munter von der Außenansicht zur Innenansicht der Drohne und zurück. (Ausführlicher wird der Film auf Vrodo besprochen.) Ähnlich ist es im viel beachteten Film „Rose Colored“, allerdings ist es dort der Wechsel vom Point-of-View der Hauptdarstellerin hin zu einer Kameraperspektive, bei der man sie beobachten kann, ohne dass man selbst in der Geschichte erscheint.

Bei beiden Filmen finde ich die Schnitte oft verwirrend, denke aber, dass man es sparsam durchaus auch in VR nutzen kann. Film- und Fernseh-Zuschauer sind schließlich (noch) daran gewöhnt. Es sollte nur nicht zu oft sein, denn man verliert so leider leicht die Orientierung. Auch aufwendig produzierte Animationsfilme wie „Henry“ gehören klar in diese zweite Kategorie, ebenso wie der 2017 in der Arte360-App veröffentlichte Film „Alteration“ (auf Deutsch: „Fremdkörper“) und viele, viele mehr. Firmen wie Jaunt, Within oder Littlstar sind besonders in diesem Genre unterwegs (wenn auch nicht nur!) und man kann sich ihre kuratierte Filmauswahl in den gleichnamigen Apps ansehen (auf allen Plattformen). Es lohnt sich, dort zu stöbern, auch wenn nicht alle wirkliches „Kino-Gefühl“ hervorrufen und wie überall guter wie schlechter Content zu finden ist.

Interaktive VR-Filme. Die dritte Kategorie sind diejenigen Filme, in denen bereits mit Interaktion experimentiert wird. Mal in 360-Grad, mal in Roomscale VR, mal nur sehr zaghaft, mal etwas wilder – dann wird die Unterscheidung zum VR-Game immer schwerer. Denn in diesem Fall verlässt man schnell die gewohnte lineare Erzählweise. Drei sehr spannende Beispiele für VR findet Ihr in diesem Post und in diesem Beitrag stelle ich einige schöne interaktive 360-Grad-Filme vor.

Große location-based VR-Erfahrungen, wie das mehrfach ausgezeichnete und leidenschaftlich diskutierte Erlebnis „Carne y Arena“ würde ich persönlich nicht beim Film ansiedeln. Es ist mehr eine Installation und daher auch nur in Museen zu erleben. Doch natürlich ist auch hier die Einteilung nicht immer eindeutig.

VR-Film und Cinematic VR: Definition

Allgemein gesprochen haben die oben genannten, sehr verschiedenen VR-Filme eigentlich nur eines gemeinsam: Sie sind keine Spiele. VR-Filme werden oft auch als „Cinematic VR“ bezeichnet. Obwohl ich selbst auch computer-generierte VR-Filme als solche bezeichne, wird „Cinematic VR“ oft etwas enger benutzt und meint gedrehtes Material. Trotzdem wird der Ausdruck „Cinematic VR“ – wie könnte es anders sein – überall anders definiert. Ich finde diese Beschreibung ganz hilfreich:

„Cinematic VR is a branch of virtual reality that covers high-quality, 360° 3D video experiences, preferably with ambisonic audio, and possibly with interactive elements.“  Quelle: Udemy via Purplepill

© Maxim Lupascu | Dreamstime.com

Cinematic VR-Filme sind also einfach richtig gute, narrative 360-Grad-Videos, stereoskopisch gedreht (oder auch 3D computer-generiert) mit tollem Ton, der aus allen Richtungen kommt. Und Interaktion, zumindest möglicherweise. Um ehrlich zu sein: meistens eigentlich nicht. VR-Filme sind bislang, und wie schon oben deutlich wurde, eine eher passive Angelegenheit. Genau wie im Kino sitzt man da – und guckt. Zumal die obige Definition ja auch Filme in Roomscale VR (die es durchaus gibt!) ignoriert. In VR kann Passivität jedoch durchaus problematisch sein, denn es verdammt zum Nichtstun.

David Liu, VR Creative Director des gerade erst letzte Woche geschlossenen Studios Viacom Next, drückt es etwas drastischer aus:

„When you can’t lean or crouch or stand up, it’s almost like being gagged and paralyzed from the neck down. You can scream, but no one will hear you. It’s frankly a little terrifying.“

Celine Tricart, „Virtual Reality Filmmaking – Techniques & Best Practices for VR Filmmakers“, Routledge (2018), S. 56

Das ist besonders der Fall, wenn die Zuschauer im Film in die Haut des Hauptprotagonisten schlüpfen, die Geschichte also in der ersten Person erzählt ist und alle anderen Personen mit einem sprechen. Man möchte automatisch nach der Kaffeetasse auf dem Tisch greifen oder dem gemeinen Gefängniswärter ein trotziges „nein!“ entgegenbrüllen. Viele 360-Grad-Filme machen aus der Not eine Tugend und stecken den Zuschauer kurzerhand in einen virtuellen Rollstuhl („Catatonic“), fesseln ihn („ABE“) oder lassen ihn gleich tot sein („Ashes to Ashes“). Auch deswegen gibt es auch bereits eine ganze Reihe VR-Filme, die in Gefängnissen oder Verhör-Räumen spielen: Es ist aus der Geschichte heraus erklärbar, warum man sich nicht (viel) bewegen kann und besser nichts sagen sollte.

Mehr Interaktion in VR-Filmen

Gefängnisse oder Rollstühle sind allerdings höchstens eine Übergangslösung. Mit neuer Technik wie dem volumetrischen Film und Photogrammetrie kann man sich bereits im Raum bewegen und die Szene aus verschiedenen Blickwinkeln erleben, ähnlich wie dies in computer-generierten VR-Welten möglich ist. Die beschränkte Perspektive des 360-Grad-Filmes wird verlassen, man kann sich frei bewegen und so wirkt die virtuelle Welt sehr viel natürlicher. Das ist einerseits genau das, wovon Filmemacher und Zuschauer träumen: Man tritt in den Film ein, befindet sich in der Filmwelt, kann sie hautnah erleben. Andererseits verstärkt dieses zunehmende Präsenzgefühl den Wunsch nach Handlungsmöglichkeiten, herumlaufen reicht nicht mehr. Ganz automatisch beginnt man, zu versuchen in die Geschichte einzugreifen, mit Personen zu sprechen, wie man es ja auch in der realen Welt tut.

Das ist wohl das – zumindest für Filmemacher – größte Dilemma von Cinematic VR: VR-Erfahrungen sollen so intuitiv, realistisch und natürlich sein wie möglich, aber je mehr sie das sind, desto größer wird in den Usern der Wunsch nach mehr Macht. Und desto schwerer wird es, eine Geschichte linear zu erzählen. VR-Filmemacher werden sich also in Zukunft ein paar Tricks von Gamedesignern abschauen.

Maxwell Planck, früherer Co-Founder des Oculus Story Studios, jetzt bei Facebook, sagt dazu:

„I’m a big believer that we’ll be able to get to storytelling with agency in VR, but it will take time and lot’s of experimentation. And the best way to experiment is to create many experiences, innovating with each project.“ 

Celine Tricart, „Virtual Reality Filmmaking“, Routledge (2018), S. 2

Mehr über die Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen interaktiven Filmen und Games in VR in meinem nächsten Post. Ich stelle Euch einige solcher Experimente auch in zwei Artikeln ausführlich vor: im ersten interessiere ich mich für interaktive VR-Filmen, der zweite ist interaktiven 360-Grad-Filmen gewidmet.

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Veröffentlicht von Pola Weiß

#Diplom-Psychologin #Filmtante #Kino-Binge-Gängerin #Fernseh- und Online-Redakteurin ## Ich liebe gut erzählte Geschichten, egal wo. Während meiner spannenden Arbeit als Medienarbeitsbiene (u.a. für SWR und arte) bin ich auf die unglaubliche Welt von Virtual Reality gestoßen. 2017 habe ich schließlich VR Geschichten gegründet und entdecke seitdem von Berlin aus die unendlichen VR Weiten.

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